Doris Carnap Moderatorin
Anmeldedatum: 18.01.2006 Beiträge: 803 Bundesland: Hessen
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Verfasst am: 10.01.2008, 11:25 Titel: Hessen - Nur die Kultusministerin ist mit sich zufrieden |
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Hallo,
in diesem Artikel wird die hessische Bildungpolitik aus Sicht der anderen Parteien kommentiert. Interessant ist immerhin die Reaktion auf die Bewertung in Noten: Wolff findet sie ungerecht.
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F.A.Z.-Diskussion zur Schulpolitik
Nur die Kultusministerin ist mit sich zufrieden
Von Matthias Trautsch
Wenn sie Lehrer wären, dann hätten Heike Habermann, Mathias Wagner und Dorothea Henzler wohl den Ruf, besonders streng zu sein. Das lassen zumindest die Noten vermuten, die die schulpolitischen Sprecher ihrer jeweiligen Landtagsfraktionen für Kultusministerin Karin Wolff (CDU) vorsehen: Habermann und Wagner bewerteten die Leistungen der Achtundvierzigjährigen als ?mangelhaft?.
Wolff habe den Schulen mehr Selbstverantwortung versprochen, aber nur zusätzliche Aufgaben aufgehalst, sagte die SPD-Politikerin, und der Grüne verwies auf den Ärger, der an vielen hessischen Schulen über die Bildungspolitik herrsche. Henzler konnte sich gerade noch zu einer ?vier minus? durchringen. Die FDP-Sprecherin hält zwar viele Ideen des Kultusministeriums für gut, doch stammten diese aus Zeiten der schwarz-gelben Koalition. Die Verwirklichung sei der CDU-Alleinregierung gründlich misslungen. Wolff findet die Benotung freilich ungerecht: Sie habe in den zurückliegenden fünf Jahren die hessische Bildungspolitik ein großes Stück vorangebracht.
Unterrichtsgarantie plus
Eine der am heftigsten umstrittenen Neuerungen der zu Ende gehenden Legislaturperiode war die sogenannte Unterrichtsgarantie plus. Über die zweifelhafte Benennung des Konzepts wollte sich Wolff nicht streiten, wichtig sei allein, dass es gelungen sei, den Unterrichtsausfall an den hessischen Schulen zu beenden: ?Wir haben die Garantie eingelöst.? Dies bestreitet Habermann: Immer noch fielen zahlreiche Stunden aus, und wenn es Vetretungskräfte gebe, dann seien diese oft nicht ausreichend qualifiziert. Das Geld, das die Landesregierung für die pädagogischen Laien ausgebe, sollte lieber den Schulen selbst zur Verfügung stehen.
In dieser Forderung stimmte ihr Henzler zu: Den Schulen sollte es möglich sein, das Vertretungsbudget selbständig zu verwalten und damit etwa eine sozialpädagogische Kraft einzustellen. Für Wagner sind mehr Lehrer das beste Mittel gegen den Unterrichtsausfall Sollten die Grünen an die Macht kommen, dann würden sie 1000 zusätzliche Lehrerstellen schaffen, versprach er. Diese Forderung bezeichnete Wolff als ?blanke Polemik?, denn seit dem Ende der rot-grünen Regierungszeit sei die Zahl der Lehrerstellen um 4300 gestiegen. Davon, so ergänzte Henzler, seien allerdings schon 3000 während der schwarz-gelben Koalition geschaffen worden
Verkürzte Gymnasialzeit G 8
Eine weitere große Reform aus dem Hause Wolff, die Verkürzung der gymnasialen Schulzeit auf acht Jahre, lehnen die Vertreter der anderen Parteien nicht rundweg ab. Allerdings sei ?G<TH>8? überstürzt und planlos eingeführt worden. Die Verdichtung des Stoffes und die Ausdehnung des Unterrichts auf den Nachmittag führen nach Auffassung Habermanns dazu, das keine Zeit für ?ganzheitliches Lernen? mehr bleibe. Das Ziel einer kürzeren Schulzeit lasse sich besser erreichen, wenn die Möglichkeiten einer flexiblen Schuleingangsstufe und einer individuellen Verkürzung der Oberstufe ausgeschöpft würden.
Eigenverantwortliche Schule
Ein grundlegendes Problem im hessischen Bildungswesen ist nach Auffassung Habermanns, Wagners und Henzlers die ?Gängelung, Bevormundung und bürokratische Belastung? der Schulen. Als Beispiel führte die FDP-Abgeordnete den Verwaltungsaufwand für die ?Unterrichtsgarantie plus? an. Ihre Partei fordere, dass die Schulen weitgehend eigenständig werden. Bildungsstandards sollten durch Zielvereinbarungen, Vergleichsarbeiten und externe Evaluationen gesichert werden. Wolff wendete dagegen ein, dass sie für die Selbständigkeit der Schulen schon einiges getan habe. So könnten sie über eigene Budgets für Vertretungen und Fortbildungen verfügen und bekämen ein eigenes Girokonto.
Es sei möglich, selbständig Lehrkräfte einzustellen und die Jahresstundentafel nach den jeweiligen pädagogischen Maßgaben zu gestalten.
Wagner hält den Vorwurf der ?Bevormundung? indes aufrecht: Ein Beispiel sei die Blockade des Kultusministeriums gegen die Schulentwicklungspläne von Kommunen wie Frankfurt Dass die von allen Beteiligten gewünschten Umwandlungen in Integrierte Gesamtschulen nicht genehmigt wurden, sei Ergebnis einer ?ideologischen Politik?. Dem widersprach Wolff: Das Ministerium richte sich nach den im Schulgesetz festgelegten Kriterien. Im übrigen könne sie jeglichen ?Ideologieverdacht? schon deshalb von sich weisen, da während ihrer Amtszeit die Zahl der Integrierten Gesamtschulen gestiegen sei.
Tempo der Reformen
Die Vertreter der Opposition haben nicht nur inhaltliche Einwände gegen Wolffs Politik. Ihnen ist auch das Tempo zu hoch, mit der eine Reform auf die andere folgt. Die Schulen hätten keine Zeit, sich auf die Veränderungen einzustellen, kritisierte Henzler. Eine zusätzliche Belastung sei die Einführung der fehlerhaften Software ?Lusd? gewesen, die die Arbeit der Schulverwaltung lahmlege. Sie kenne die Probleme und habe Verständnis für den Ärger, sagte Wolff, doch könnten solche Schwierigkeiten auftreten, wenn man die Schule - ?das größte Unternehmen in Hessen? - reformieren wolle. Im Interesse der Schüler seien alle Umstellungen nötig gewesen, nichts davon hätte aufgeschoben werden können: ?Es ist hart, aber es lohnt sich.?
Zukunft der Hauptschule
Dem Beispiel anderer Bundesländer, die Hauptschule abzuschaffen oder sie mit der Realschule zusammenzulegen, will Wolff nicht folgen. Allerdings arbeiteten in Hessen schon jetzt die meisten Hauptschulen mit Realschulen zusammen, etwa durch gemeinsame Gebäude oder als Verbund in Kooperativen Gesamtschulen. Das Modell der ?Schub-Klassen?, bei dem Hauptschüler mehrere Tage in der Woche in einem Betrieb lernen, solle flächendeckend ausgeweitet werden. Damit könne es gelingen, auch schwächeren Schülern einen Abschluss zu ermöglichen. Nach Ansicht Habermanns ist dieser Abschluss von den meisten Eltern gar nicht gewollt: ?Wir brauchen keine künstlich am Leben gehaltene Hauptschule.? Diese Meinung teilt Henzler nicht. Es gebe nun einmal Schüler, deren theoretische Fähigkeiten nicht für höhere Abschlüsse ausreichten. Deshalb sei das praxisnahe Schub-Modell der richtige Weg, allerdings müsse die berufsorientierte Förderung schon in der siebten Klasse, also früher als geplant, einsetzen.
Privatschulen
Der Boom bei den Privatschulen gibt allen Diskussionsteilnehmern zu denken. Grundsätzlich sei nichts gegen solche Angebote einzuwenden, sagte Habermann, zumal die pädagogische Qualität oft gut sei. Wenn es aber zu einer Flucht aus dem staatlichen Bildungsystem komme, etwa weil Eltern ihre Kinder nicht auf Schulen mit einem hohen Anteil von Zuwanderern schicken wollten, sei dies Anlass zur Sorge. Um dem entgegenzuwirken, müsse das Land die Ressourcen nach einem ?Sozialindex? zugunsten von Schulen verteilen, die in besonders problematischen Wohngegenden liegen. Ein solcher Verteilungsmodus sei schon in Vorbereitung, sagte Wolff. Überdies trügen Programme wie Schub oder die Einführung von ?Vorlaufkursen? für den Spracherwerb zum Ausgleich von Defiziten bei.
Soziale Gerechtigkeit
Unterschiedliche Schlüsse zogen die Diskussionsteilnehmer aus einer Studie des Erziehungswissenschaftler Helmut Fend. Diese hatte ergeben, dass auch Gesamtschulen nicht in der Lage sind, die durch das Elternhaus bedingten unterschiedlichen Bildungschancen langfristig auszugleichen. Für Wolff ist das ein Argument, künftig nicht mehr über Schulstrukturen zu streiten, sondern alle Kraft für die Verbesserung der ?Qualität?, etwa für die Lehrerbildung oder den Ausbau der Ganztagsschulen, aufzuwenden. Habermann und Wagner wiesen hingegen darauf hin, dass Fends Studie dem hessischen Schulsystem insgesamt ein schlechtes Zeugnis ausgestellt habe. Es sei erschreckend, dass Arbeiterkinder ungeachtet der Schulform eine weitaus schlechtere Chance auf einen Hochschulabschluss hätten als Kinder aus der Oberschicht. Während Henzler sich Wolffs Aufruf anschloss, die Debatte um die Schulstruktur zu beenden, widersprach Habermann: Einer bestmöglichen Förderung könnten überholte Strukturen entgegenstehen. Deshalb sollten sich die Schulen entscheiden dürfen, ob sie die Schüler zusammen oder nach Leistung getrennt unterrichten wollten.
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Doris _________________ "Das Geheimnis der Erziehungskunst ist der Respekt vor dem Schüler." Ralph Waldo Emerson |
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